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Dramaturgie der Kontraste (Teil I zum Ausstellungskonzept von “JUBEL & ELEND”)

Auszug aus dem Katalog zur Ausstellung “JUBEL&ELEND. Leben mit dem Großen Krieg 1914-1918” (29. März bis 9. November 2014); Text: Christian Rapp, Peter Fritz

Bei der Konzeption einer Schau über einen Krieg stößt man auf Widersprüche. Wie geht man damit um, dass Ausstellungen Inhalte veredeln und aufwerten, die man eindeutig abwerten will? Wie bewerkstelligt man, dass Gewalt in einer Ausstellung nicht vermittelbar ist? Dass sich Schmerz nicht in Objekten darstellen lässt, und dass Gefühle und Erlebtes von damals nicht erfahrbar gemacht werden können? Dass kriegsspezifische Objekte wie Waffen und Uniformen als (gesäuberte und professionell restaurierte) Ausstellungsstücke ihren Zweck überstrahlen? Dass Krieg chaotisch ist und Museen oder Ausstellungen ihn nachträglich ordnen? Diese Fragen spielten bei der Entwicklung des roten Fadens der Erzählung ebenso eine Rolle wie bei Details der Objektpräsentation.

JUBEL & ELEND

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Maria hilf uns- beschütze unseren tapferen Krieger. Wien, Judit Zeller

Maria hilf uns- beschütze unseren tapferen Krieger. Wien, Judit Zeller

Die Ausstellung sucht Gegensätzen und Widersprüchen des Ersten Weltkrieges Rechnung zu tragen.  Dies wird bereits in ihrem Titel zum Ausdruck gebracht. Jubel und Elend waren von Kriegsbeginn an gleichermaßen auszumachen. Die einen zogen jubelnd in den Krieg, die anderen sahen die kommenden Schrecken bereits vorher. Der Widerspruch prägte auch die folgenden Jahre: von den ersten Toten, auf deren Kosten die ersten Siege gefeiert wurden, bis zum Ende, an dem Zusammenbruch und Neubeginn, Hungersnot und Siegesfeiern miteinander verquickt waren. Auch während des Krieges gab es immer wieder Anlass für mehr oder weniger offiziösen „Jubel“: Siege, Befreiungen und Eroberungen wurden gefeiert, Städte beflaggt, Heerschauen und Feste abgehalten, während die Menschen gleichzeitig unter der steten Reduktion der Lebensmittelrationen litten, Verwundete und Invalide die Straßen prägten. (…)

Leben mit dem Großen Krieg

Der Untertitel der Ausstellung betont den Umstand, dass der Krieg für viele Menschen zu einer Realität geworden war, deren Sinnhaftigkeit man nicht ständig hinterfragte. Er wurde, oft resignierend, zur Kenntnis genommen und Bestandteil des Alltags. „Leben mit dem Großen Krieg“ impliziert auch, dass es um die Geschichte nicht der Entscheidungsträger, sondern jener geht, die vom Krieg mehr oder weniger passiv betroffen waren, ob an der Front oder im Hinterland. (…)

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Österr-ung. 10-cm Feldhaubitze M.14. feuernd, Kinderzeichnung von Oswald Reichlin. Copyright: Hinterbrühl, Georg Reichlin- Meldegg, Picasa

Österr-ung. 10-cm Feldhaubitze M.14. feuernd, Kinderzeichnung von Oswald Reichlin. Copyright: Hinterbrühl, Georg Reichlin – Meldegg, Picasa

1914-1918

Der dritte Teil des Titels begrenzt den zeitlichen Rahmen des Dargestellten: Die Schau setzt inhaltlich unmittelbar vor dem Krieg an, steigt gleich in das Jahr 1914 ein und endet mit 1918. Sie verzichtet auf eine Erzählung der langen Vorgeschichte, baut historische Entwicklungen vielmehr in die Darstellung ein. Da die mangelhafte Aufarbeitung der Ereignisse nach 1918 den Keim für den nächsten Krieg legte, darf die Nachgeschichte nicht ausgeblendet werden. Viele Menschen haben 1914 mental aufgerüstet und den „Kampf“ als politisches Prinzip auch nach 1918, bis 1945, weitergeführt.

Um einem internationalen Trend gegenzusteuern, der überproportional stark den Kriegsschauplatz der (europäischen) Westfront im Auge hat, konzentriert sich die Ausstellung auf die Ereignisse in Mittel- und Osteuropa. Mit Ausblicken auf Geschehnisse in Australien, China, Japan, Indien, Afrika, auf den Weltmeeren und im Nahen Osten als Schauplätzen trägt die Ausstellung der globalen Dimension des Krieges Rechnung.

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Gemälde von Alexander Pock: Mackensen-Offensive: Zusammentreffen der verbündeten am Doiren-See, 06.09.1915. Wien, Heeresgeschichtliches Museum Wien

Gemälde von Alexander Pock: Mackensen-Offensive: Zusammentreffen der verbündeten am Doiren-See, 06.09.1915. Wien, Heeresgeschichtliches Museum Wien

Der erste totale Krieg

Der Erste Weltkrieg war in gewisser Weise auch der erste „totale Krieg“, in dem sich totale Kriegsziele, totale Mobilisierung und totale Kontrolle erkennen lassen. Er durchdrang in den meisten beteiligten Staaten alle Lebensbereiche der Gesellschaft. Insofern ist es wichtig, den Krieg weder ausschließlich als Hegemonialgeschichte, als eine Geschichte von Militärs und Diplomatie, noch in einer bloßen Abfolge von Lebensgeschichten und individuellen Erfahrungen zu dokumentieren. Vielmehr geht es um die Darstellung einer Verschränkung gemeinsamer und individueller Erfahrung.
Der Erste Weltkrieg war ein klassischer Staatenkrieg, der mittlerweile als Auslaufmodell betrachtet wird. Das ist seine historische Komponente. Aktuell von Bedeutung sind die gesellschaftlichen und politischen Voraussetzungen: Globalisierungsprozesse und Zukunftsängste, die Kultivierung von Aggressionen als politisches Instrument, die Sehnsucht nach einfachen Lösungen für komplexe Probleme.

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Taschenuhr "Omega", die von einer Kugel getroffen wurde und das Leben rettete. Privatsammlung, Foto: Christoph Fuchs

Taschenuhr “Omega”, die von einer Kugel getroffen wurde und das Leben rettete. Privatsammlung, Foto: Christoph Fuchs

Wissenschaftliches Team

An der Ausstellung arbeiteten zahlreiche Expertinnen und Experten aus unterschiedlichen Disziplinen mit und brachten neue Forschungsthemen und Fragestellungen ein. Gerade in den letzten Jahren wurden von jungen Historikerinnen und Historikern traditionelle Geschichtsbilder und Deutungen hinterfragt, und neue wichtige Themen erschlossen, wie etwa Kriegsgefangenschaft, Massenhinrichtungen und Kriegsverbrechen. Das Neubefragen des historischen Materials ist ein primäres Ziel des Projektes, der begleitenden Vermittlungsaktivitäten und des Katalogs. Dabei ist uns bewusst, dass letztlich mehr Fragen als Antworten zu erwarten sind.

Lesen Sie nächste Woche: Beitrag 2 zum Ausstellungskonzept – Grundfragen zum Thema

Die Autoren:

Christian Rapp, geb. 1964, Kulturwissenschafter und Ausstellungsmacher, Studium der Theater- Film und Medienwissenschaft sowie Kunstgeschichte in Wien, zahlreiche Ausstellungen und Publikationen zu Technik-, Stadt- und Wirtschaftsgeschichte; Lehrbeauftragter am Institut für Europäische Ethnologie der Universität Wien; Gründer und Gesellschafter der rapp&wimberger Ges.m.b.H für Kultur- und Medienprojekte (Projekte im Bereich Museen, Bildung, Kultur- und Wissenschaftskommunikation).

Peter Fritz, geb. 1976, Studium der Geschichte und Kulturmanagement an der Universität Graz und Uppsala; bis 2009 wissenschaftlicher Mitarbeiter des Ludwig Boltzmann-Instituts für Kriegsfolgen-Forschung; seit 2010 Standortleiter der Schallaburg; wissenschaftlicher Mitarbeiter und Koordinator der Schallaburg-Ausstellung „Österreich ist frei!“ (2005) und der Republik-Ausstellung 1918-2008 im Parlament in Wien; seit 2008 Mitglied der Wissenschaftskommission beim Bundesministerium für Landesverteidigung und Sport. Forschungsschwerpunkte: Kriegsfolgen-Forschung im 20. Jahrhundert; Österreich im 20. Jahrhundert; Internationales Konfliktmanagement und Krisenprävention.


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